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Gedanken zum Evangelium - 15. Sonntag im Jahreskreis

Barmherzigkeit kennt keine Grenzen

Wem soll ich helfen? Der US-amerikanische Vizepräsident J.D. Vance meint: Nur dem, der zu mir gehört – und begründet das mit einer christlichen Lehre. Dass er die missverstanden hat, sagt sogar Papst Leo. Und Jesus erklärte es schon viel früher: im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Evangelium

In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben!

Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Daraufantwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen.Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle;er sah ihn und ging vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatteMitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf seineigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dirbezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?

Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!

Lukasevangelium 10,25–37

Kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump wurden zahlreiche US-Hilfsprogramme im Ausland gestrichen. In einem Interview mit dem Sender Fox News rechtfertigte Vizepräsident J.D. Vance dieses Handeln und verwies dabei auf ein „altes, christliches Konzept“. Er sagte: „Wir sollten zuerst unsere Familie lieben, dann unsere Nachbarn, dann unsere Gemeinschaft, dann unser Land und erst dann die Interessen der übrigen Welt berücksichtigen.“ Ganz in Trumps „America first“-Manier sollen laut Vance also erst alle Probleme des eigenen Landes gelöst werden, bevor dem Rest der Welt Hilfe zukommt. Die Nächsten sind demnach die, die uns am nächsten sind.

Als sich dieser Ausschnitt aus dem Interview auf der Plattform X verbreitete, reagierten viele Christinnen und Christen empört. Sie fanden Vances Haltung unbiblisch und unchristlich. Auf diesen Vorwurf konterte der US-Vize mit der Aussage: „Einfach mal ‚ordo amoris‘ googeln.“

Gesagt, getan: Das Konzept ordo amoris (dt.: Ordnung der Liebe) stammt ursprünglich von Augustinus und wurde von Thomas von Aquin weiterentwickelt. Als einer der wichtigsten Lehrer der Scholastik, einer mittelalterlichen Denkschule der Theologie, hat Thomas von Aquin versucht, dem christlichen Glauben mit Vernunft und Logik zu begegnen. In der Scholastik musste alles eine Ordnung haben, denn sie galt als Abbild der göttlichen Weisheit. Ein geordnetes Denken war nicht nur klug – es war heilig. Das gilt auch für die Liebe. Und so wurde der ordo amoris zum zentralen Begriff in seiner Ethik.

Ziel des Konzepts ist es, die Liebe des Menschen zu ordnen. Denn sie ist endlich. Wir können schlichtweg nicht alle Menschen auf der Welt gleich stark lieben. Daher gibt es, sagt Thomas, auch für die Liebe eine hierarchische Ordnung – also eine Reihenfolge, wen und wie stark man lieben soll.

Rangordnung ja – aber anders

Von Familie, Nachbarn, Ort und Nation ist da allerdings nicht die Rede. In seinem Hauptwerk „Summa theologica“ unterscheidet Thomas von Aquin drei Arten der Liebe: die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst. In einem zweiten Schritt ordnet er sie – und zwar so:

1. Über allem steht die Liebe zu Gott, dem Höchsten, dem Schöpfer allen Seins. Ihn soll der Mensch vor allem Weltlichen lieben.

2. Dann kommt die gottbezogene Selbstliebe. Das bedeutet: sich um seine Seele, sein moralisches Leben und sein Heil zu kümmern, sich also bewusst gegen schwere Sünde zu entscheiden.

3. Es folgt die Liebe zu den Mitmenschen. Hier macht Thomas von Aquin eine Abstufung: Ein gerechter Mensch soll mehr Liebe bekommen als ein Sünder.

4. Blutsverwandte und Freunde dürfen bevorzugt geliebt werden. Aber: Die familiäre Liebe darf nicht über Gerechtigkeit und Wahrheit gestellt werden. Zum Beispiel darf ein schweres Unrecht eines Familienmitglieds nicht aus Loyalität zu ihm gedeckt werden.

5. Die weltlichen Dinge sollen weniger geliebt werden als das Heil der Seele. Das bedeutet: Ich achte auf meine Gesundheit und meinen Besitz, aber nicht um jeden Preis – etwa indem ich dafür moralische Prinzipien verletze (vgl. Summa Theologiae, II-II, 26).

Thomas von Aquin schreibt an dieser Stelle also durchaus, dass die Liebe des Menschen begrenzt ist und dass nahestehenden Menschen mehr Liebe zukommen soll als anderen Personen. Aber das als „America first“ zu interpretieren, ist doch sehr gewagt. Das fand auch der damalige Kardinal Robert Prevost und heutige Papst Leo XIV. „JD Vance irrt sich“, schrieb der Augustinerpater damals auf der Plattform X über das Konzept des Namensgebers seines Ordens: „Jesus verlangt nicht von uns, dass wir unsere Liebe für andere Menschen in eine Rangordnung bringen.“

Auch Papst Franziskus äußerte sich in einem Schreiben an die amerikanischen Bischöfe zu dem Thema: „Der wahre ordo amoris, den es zu fördern gilt, ist der, den wir entdecken, wenn wir ständig über das Gleichnis vom ‚barmherzigen Samariter‘ nachdenken, das heißt, wenn wir über die Liebe nachdenken, die eine Brüderlichkeit aufbaut, die allen ohne Ausnahme offensteht.“

Politik statt Theologie

Jeder Mensch kann zum Nächsten werden, etwa wenn er in Not ist. Das sah auch Thomas von Aquin so. Er schrieb ganz ausdrücklich an anderer Stelle in seiner „Summa theologica“, dass man einem notleidenden Fremden mehr Almosen geben soll als einer blutsverwandten Person (II-II, 32, 9).

Zum christlichen Menschenbild gehört eben die grundlegende Einsicht, dass alle Menschen gleich sind. Weil alle Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, teilen sie sich eine Würde. Darin begründet sich die christliche Verpflichtung, das Wohl eines jeden Nächsten zu wollen, egal ob in der Nähe oder in der Ferne.

J.D. Vance liegt mit seiner Interpretation des ordo amoris also falsch. Er benutzt einen theologischen Begriff, um seine politische Agenda zu verteidigen. Er setzt der Nächstenliebe eine willkürliche Grenze und ignoriert alles, was dahinter liegt. Damit widerspricht er dem jesuanischen Ideal der Barmherzigkeit. Nach seiner Logik würde Vance den ausgeraubten und niedergeschlagenen Mann, der aus einem anderen Land und einer anderen religiösen Tradition stammt, links liegen lassen – er ist damit kein Stück besser als der Priester und der Levit.

Von dem biblischen Gleichnis des Sonntags können wir lernen: Barmherzigkeit macht keinen Halt an Staatsgrenzen, Herkunft oder Religion. Sie fragt nicht: „Gehört dieser Mensch zu mir?“, sondern: „Was braucht er jetzt?“ Jesus macht den Samariter zum Vorbild. Wer ihm folgt, erkennt im Leidenden nicht den Fremden, sondern seinen Nächsten.

Jasmin Lobert